Marcel fragte am 1.5.2008:
Ich habe eine Frage zu Flageolettönen. Man kann diese ja im 5. & 7. Bund zum Stimmen benutzen. Allerdings habe ich in einigen Videos gesehen, dass diese auch im 3. oder 2., also in fast allen Bünden machbar sind. Wenn ich das ausprobiere, klingt das eher nach Blechdose. Unterscheiden sich Flageoletts im 3. oder 2. von denen auf dem 5. und 7. Bund?
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Grundsätzlich unterscheiden die sich in ihrer Tonhöhe. Im Prinzip lassen sich nur zur Grundtonhöhe - dem Leersaitenklang - harmonische Obertöne erzeugen. Sie schwingen in ganzzahlig vielfachen Frequenzen zur Grundfrequenz. Flageoletts erzeugt man wiederum nur an ganzzahligen Teilungspunkten der frei schwingenden Saitenlänge. Die freie Schwingung wird dann derart unterbrochen, dass alle Teilwellen mit Schwingungsbauch an der entsprechenden Stelle abgedämpft werden. Nehmen wir die leere A-Saite mit 110 Hz Grundfrequenz: Man kann ihr die
- Oktave mit 220Hz und Dämpfung an der halben Saitenlänge (etwa über 12. Bund) entlocken,
- die oktavierte Quinte mit 330Hz bei 1/3 oder 2/3 Länge (etwa über 7.Bund),
- die Doppeloktave mit 440Hz bei 1/4 oder 3/4 Länge (etwa über 5. Bund),
- die reine, doppeloktavierte Terz mit 550Hz bei 1/5, 2/5, 3/5 oder 4/5 (z.B. über etwa 4.Bund),
- die doppeloktavierte Quinte mit 660HZ,
- eine reine doppeloktavierte None mit 770Hz u.s.w.
Bei sehr hohen Ordnungszahlen, wird es immer wahrscheinlicher, dass die harmonische Welle nicht mehr im Grundton enthalten ist. Theoretisch begründet sich das durch die mit der Ordnungszahl abnehmenden Intensität der Oberwellen. Hinzu kommt noch, dass das Gesamtsystem Gitarre charakteristische Resonanzen hat. Es kann also auch schon bei Flageoletts niedriger Ordnung zu einer sehr schlechten Ausprägung kommen. Das hört sich dann eben nach Blechdose an. Am besten funktionieren Flageoletts mit nagelneuen Saiten. In diesem Zusatand sind sie optimal homogen, also am gleichförmigsten. Später kommen feine Materialrisse und Schmutz dazu, was die Oberwellen über die Gesamtlänge der Saite dämpft.
Dein Stimmsystem über Flageoletts funktioniert eigentlich nicht ganz zuverlässig. Grund ist, dass unser Tonsystem - andere übrigens auch - nicht exakt in der Harmonie, also in ganzzahligen Proportionen aufgehen. Die Lösung sind sogenannte Temperierungen. Unsere temperierte Quinte und Quarte kommen ihren harmonischen Vorbildern aber sehr nahe. Mit 12 überstapelten temperierten Quinten gelangt man bekanntlich wieder exakt zur Ausgangstonhöhe - in höherer Oktave. Mit 12 harmonischen Quinten kommt man hier hingegen auf einen leicht zu hohen Ton. Ausgangs- und Zielton unterscheiden sich um ein sogenanntes Quintkomma. Stimmst Du also nach reinen Quinten, machst Du von Mal zu Mal zwar einen kleinen Stimmfehler, der sich in der Summe aber durchaus bemerkbar machen kann. Aussichtslos wird es, nach reinen Terzen und anderen Kuriositäten zu stimmen. Die Terz zwischen G- und H-Saite muss temperiert sein! Probier mal die H-Saite nach dem Flageolett über dem 4.Bund der G-Saite umzustimmen. Das ergibt dann eine unerträglich verstimmte Quarte zur E-Saite. Also, es gibt zuverlässigere Methoden, die Gitarre nach Gehör zu stimmen. Es kommt nämlich noch hinzu - ich habe es bisher nicht erwähnt -, dass Flageoletts z.T. leicht verstimmt sind, von den harmonischen Tönen, die ohnehin nur begrenzt brauchbar sind, zusätzlich abweichen. Das hat mit sehr komplizierten Vorgängen zu tun. Als Regel sollte beim Stimmen deshalb gelten: So wenig wie möglich Quinten und Quarten und keine Terzen benutzen, und wenn man es sehr genau nimmt: Flageoletts generell weglassen. es antwortete:
Lorenz Felgentreff Gitarrist und Musikwissenschaftler Berlin Website: Gitarrenunterricht in Berlin
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