Bolle fragte am 26.6.2007:
Als Autodidakt habe ich auf meiner uralten 12saitigen in Unkenntnis erst die tiefen Saiten und dann die Oktavsaiten aufgezogen. Ich war erstaunt, dass bei einem neuen Satz die Oktavsaiten als erste Saiten aufzuziehen sind. Ich fand aber, dass die Gitarre mit meiner falschen Besaitung wärmer und noch voller klang und irgendwie auch leichter spielbar war. Ist es absolut falsch, die tieferen Saiten zuerst aufzuziehen?
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Zum eindeutigen Verständnis: Man beginnt die Saiten tonal von oben nach unten zu nummerieren. D.h. die hohe E ist bei der 6-Saitigen die erste Saite. Bei der 12-saitigen Gitarre die Oktavsaiten nun jeweils danach aufzuziehen, würde für mich bedeuten, dass die tiefe E z.B. die Nr. 11 und ihre Oktavsaite die Nr. 12 wäre. Räumlich gesehen, also auf die normale Rechtshänderhaltung bezogen, bedeutet das dann genau das Gegenteil: Wäre die Oktavsaite die Nr. 12, läge sie räumlich oben. Es kommt nun also ganz darauf an, was sie mit ihrer Beschreibung meinen, wonach sie die tiefen Saiten als erstes aufgezogen haben. Jedenfalls ist es bei der Besaitung üblich, dass die Nr. 12 die Oktavsaite ist. Räumlich gesehen liegen alle Oktavsaiten also oberhalb.
Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären. Wahrscheinlich ist das reine Konvention. Bei den historischen Verwandten der heutigen Gitarre - Renaissancegitarre, -laute, Theorbe, Chitarrone etc. - wurden die Oktavsaiten jedenfalls in umgekehrter Reihenfolge aufgezogen. Die entscheidende Frage wäre aber, welche Auswirkungen die Reihenfolge der Besaitung hat. Gehen wir zunächst davon aus, dass die Stegeinlage linear geformt ist: Hier liegen die Oktavsaiten ihres geringeren Querschnitts wegen stets flacher. Im Moment des Niederdrückens eines Chors wird also immer die tiefere Saite zuerst berührt und erreicht als erstes den Bund, sofern sich der Finger senkrecht auf das Griffbrett zubewegen würde. In der Regel wirken die Grifffinger jedoch leicht schräg von unten - räumlich gesehen - auf das Griffbrett. Die veraltete Konvention scheint also deswegen vorteilhafter, weil sie das gleichzeitige Niederdrücken beider Saiten eines Chors begünstigen.
Welche Reihenfolge für ihre Gitarre optimal ist, hängt selbstverständlich auch davon ab, wie die Stegeinlage und/ oder die Kerben im Obersattel aussehen. Bei durchdachteren Stegeinlagen werden sowohl die unterschiedlichen Saitenquerschnitte innerhalb des Chors als auch mensurbezogene Intonationsunterschiede berücksichtigt. Bei dickeren und schwereren Saiten - sprich: tieferen Saiten - sollte die Mensur ja um ein bestimmtes Maß größer sein, damit die Intonation auch in höheren Lagen stimmt. Falls die Kerben im Obersattel keine bestimmte Reihenfolge erzwingen und ihre Stegeinlage eine unspezifische Form hat, würde ich ihnen also die heute unkonventionelle Reihenfolge empfehlen. Die Nr. 12 sollte also die tiefe E, ihre Oktave die Nr. 11 sein. Wahrscheinlich ist das auch ihre alte Bestückung, die sie intuitiv als besser spielbar und klingend empfanden. es antwortete:
Lorenz Felgentreff Gitarrist und Musikwissenschaftler Berlin Website: Gitarrenunterricht in Berlin
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